Wadokai Geschichte

Alessandro Aquino

Vorwort
Die Ursprünge des Karate in Okinawa sind sehr lückenhaft dokumentiert, Überlieferungen nur mündlich weitergegeben. Deshalb gebe ich für die hundertprozentige Richtigkeit dieses Berichts keine Garantie. Trotzdem möchte ich unter Beiziehung verschiedener Quellen einen ausführlichen Überblick verschaffen.

Ich möchte Sie gerne auf eine Reise in die Vergangenheit mitnehmen. Auf dieser Reise werde ich Ihnen die Ursprünge des Karate und des Wado-Ryu Stils aufzeigen. Die Reise beginnt in China und Indien wo der eigentliche Ursprung der Kampfkünste zu finden ist. Weiter geht die Reise über die Inselgruppe von Okinawa nach Japan. Die parallele Entwicklung des Karate und des Jujutsu werden erläutert. Mit einem Einblick in das Leben unseres Stilbegründers Osensei Hinori Otsuka, der Elemente des Jujutsu mit dem Karate verschmolz und so das Wado Karate hervorbrachte, endet die Reise.

Geografischer Ursprung
Geografischer Ursprung

Ursprung des Ryukyu Karate
Durch die Handelsrouten der Chinesen im 8. und 9. Jahrhundert kamen viele Chinesen nach Okinawa. Dort wurden wichtige Handelshäfen, die eine Weiterfahrt nach Japan ermöglichten erbaut. Es entstanden auch Schiffswerften. Um diese Häfen und Handelsrouten vor Übergriffen zu schützen kamen nach und nach militärisch ausgebildete Kräfte von China nach Okinawa. Diese brachten ausserdem die chinesischen Kampfkünste ins Land. Die Einheimischen lernten diese Künste und verbanden sie mit ihren Tode- Kampftechniken.
Die kleinen Inseln wurden von etlichen Königen regiert, bis eines Tages der Sieger alle Okinawaer entwaffnete. Diese unbewaffneten Kämpfer entwickelten aus dem Tode und dem chinesischen Boxen eine Kampfkunst, die die übermächtigen, gepanzerten Königsgardisten mit einem einzigen gezielte tödlichen Schlag ausser Gefecht setzten. Die Techniken wurden verfeinert, Senseis überlieferten ihr ganzes Wissen den Schülern über die Kata, die alle Formen ihres Kampfkunst- Stils beinhalteten. Durch diese, ausschliesslich mündliche, Überlieferung gingen leider sehr viele Stile und die ursprüngliche Interpretation von Techniken verloren.

Ursprung der Jujutsu
Im 6. Jahrhundert nach Christus begannen buddhistische Mönche aus China in Japan zu missionieren. Die Mönche wurden zusehends von Studenten, Handwerkern und Bauern auf ihrer Missionsreise begleitet. Sie verstanden es, die Begleiter nicht nur in religiösen Belangen zu unterrichten, sondern auch in den chinesischen Kampfkünsten. Das von Osenesei Otsuka ausgeübte Yoshin-Ryu Jujutsu entstammt ursprünglich dem chinesischen Yang Zhou Quan, dieses eines klösterlichen Wushu Stils.
Jujutsu wurde danach in Japan, vom Militär für den Nahkampf auf den Schlachtfeldern, perfektioniert. In der Friedenszeit (Feudalzeit) wurden die einstigen Krieger und Jujutsu Meister zu Bewachern der aristokratischen Schicht. Jujutsu wurde als waffenlose Verteidigungskunst entwickelt. Es galt, ihre Herren vor Angriffen mit Hieb- und Stichwaffen verteidigen zu können. Daher rühren also auch die ausgeklügelten Hebel- und Grifftechniken im Jujutsu.
Diese Anwendungen wurden später vom Schlachtfeld auf alltägliche Situationen übertragen. Man sagt Jujutsu sei rein japanisch. Die chinesische Herkunft ist aber unumstritten.
Die kulturellen und religiösen Einflüsse aus China zwischen 600 und 900 n.Chr. sind dokumentiert und bis heute erhalten. Der Buddhismus brachte zu dieser Zeit religiöse und staatliche Strukturen nach Japan, ebenso die chinesischen Kampfkünste.

Verschmelzung Karate und Jujutsu
Nun wird klar, dass die Wurzeln des Ryukyu Karate und des Jujutsu ein und dieselbe ist. Die Entwicklung des Ryukyu wurde von Schiffsbauern, Handelsreisenden und Militärfunktionären nach Okinawa gebracht. Mönche brachten das Jujutsu aus China auf die japanischen Halbinseln. Interessant ist wie sich durch die unterschiedliche kulturelle Beeinflussung die Kampfkünste Jujutsu und Karate auf den Inseln weiterentwickelten.

Otsuka Sensei versuchte Anfang des letzten Jahrhunderts die Wege der, sich unterschiedlich entwickelten, Kampfkünste wieder zu vereinen. Eine Idee die später in das Wado-Ryu Karate einfloss.

O-Sensei Hironori Otsuka
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Otsuka kam 1892 in Ibaragi (Insel Honshu) zur Welt. Sein Vater war Arzt. Seine Mutter stammte aus einer angesehenen Familie dessen Vorfahren Samurai waren. Bereits mit fünf Jahren begann er das Training im Kenjutsu (Schwertkampf) im engen Familienkreis. Im Gymnasium vertiefte er sein Training im Jujutsu. Während fünf Jahren wurde Otsuka durch den, in Japan sehr bekannten, Sensei Nakayama in Schwertkampf und Yoshin-Ryu Jujutsu unterrichtet.

1910 begann er sein Studium an der Universität von Waseda an der Handelsfakultät. Während seinem Studium trainiert er in verschiedenen Jujutsu-Dojo in Tokio. Otsuka absolviert den Militärdienst und arbeitet danach als Bankangestellter.
Das Jujutsu trainiert er nun bei Sensei Kanaja. Beeinflusst durch seinen Sensei studiert er die traditionelle Japanische Medizin und gibt 1927 seinen Bankjob auf und praktiziert als selbständiger Arzt. Zur selben Zeit erhält Otsuka die Unterrichtslizenz für Jujutsu.

Otsuka und Funakoshi
Als Otsuka zum erstenmal mit Funakoshi zusammentrifft, erklärt dieser ihm mit viel Enthusiasmus das Ryukyu Karate aus Okinawa. Funakoshi erklärt Otsuka, dass das Ryukyu Karate 15 Kata kennt und diese innert fünf Jahren, für einen Bude-Kampfkunstexperte wie Otsuka innert zwei Jahren, erlernbar seien. Dies sei aber vom Trainingsinterwall und von der Aufnahmefähigkeit des Schülers abhängig.
Otsuka entschliesst sich das Training bei Funakoshi aufzunehmen. Er erlernt die 15 Kata innert anderthalb Jahren. Seiner Meinung nach enthält jede Kata Elemente, die nicht in eine Bunkai (Anwendung) umgesetzt werden kann. Um dieses Manko zu ergründen, beschliesst er nach Okinawa zu reisen, um die Kata an ihrem Ursprungsort zu erlernen.
Zur gleichen Zeit findet in Tokio eine Judo- Demonstration unter Kano, im Dojo des kaiserlichen Palastes, statt. Funakoshi erhält die Möglichkeit dort das Ryukyu Karate vorzuführen. Dieses wird als ausserordentliche Möglichkeit das Karate ins japanische Budo aufzunehmen angesehen. Otsuka verzichtet daraufhin auf seine Okinawa Reise und erarbeitet mit Funakoshi den Inhalt der Demonstration.
Gemeinsam beschliessen sie, dass es im Sinne des japanischen Budo nicht ausreicht nur die Ryukyu Katas vorzuführen, sondern auch kämpferische Elemente vorgeführt werden sollen. Funakoshis Trainings und Interpretationsart korrespondieren.

Otsuka Karate
Otsuka bekommt den Auftrag solche „Kampfkatas“ zu erarbeiten. Er appliziert die Jujutsu Trainingsmethode ins Karate und erarbeitet Angreifer- und Verteidigerübungen. Die Übungen beinhalten Karateabwehrtechniken gegen einen Speerangriff. Otsuka vertritt bei der Vorführung Funakoshis Schule. Seine Vorführung werden mit grosser Begeisterung verfolgt.
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In folge der Demonstration wenden sich zehn Universitäten im Umkreis von Tokio an Funakoshi um Karate in ihren Schulen aufzunehmen. Otsuka avanciert zu Funakoshis Assistenten. Funakoshi erachtet als wichtig, dass sein Karate ins japanische Budo aufgenommen wird. Otsuka ebnet ihm den Weg für sein Vorhaben. Gemeinsam erarbeiten sie eine Anzahl von Yakasokugumite Varianten, immer an den Trainings- und Übungsablaufmethoden des Jujutsu angelehnt.
Einen Schüler wie Otsuka in den eigenen Reihen zu haben ist für Funakoshi eine immense Bereicherung. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden sind aber von Beginn an ein Problem.

Otsuka sieht es als natürliche Entwicklung den Jujutsu und Karate miteinander zu verflechten, im Gegensatz zu Funakoshi. Die Partnerübungen werden mit Angriffen aus dem Kendo und dem Boxen kombiniert und praktiziert. Schliesslich werden Übungen für den Freikampf trainiert und sogar Freikämpfe durchgeführt. In den Augen des sehr traditionell denkenden Funakoshi ist dies ein unantastbares Sakrileg. Für Otsuka, der ausser die Schwerkampfkunst auch über 17 Jahre Jujutsu praktiziert hat, eine wichtige Weiterentwicklung seiner Kampfkünste. Funakoshi kritisierte Otsuka wie folgt: „Otsuka modifiziert das Essentielle des Karate und adaptier zuviel Jujutsu Elemente.“ Es kommt unwillkürlich zum Bruch zwischen den zwei Kampfkunst Meistern.

Hintergründe zu Disput
Stundenten der Gruppe „Todai Karate Kenjukai“, was soviel wie „Forschungsverein Karate“ bedeutet, besuchten zu dieser Zeit Okinawa. Nach Abschluss ihrer Forschungsarbeiten veröffentlichen sie eine erstaunliche Arbeit unter dem Titel „Überblick über das Kempo“. Eines der Themen waren die Freikampfübungsformen (Randorikeika) die hitzige Diskussionen zwischen Verfasser Misaburo und Funakoshi auslöste. Funakoshi unterrichtete damals Karate ohne Kampfkomponente, nach den Prinzipien des Bujutsu. Das heisst nur Kihon, Kata und Partnerübungen. Keiner wich von seinem Standpunkt. Auf Okinawa wurde aber der Freikampf geübt, was Funakoshis Argumentation erschwerte. Sein grosses Argument war, dass die Zerstörungskraft, die in den Kampfformen enthalten sind, zu stark ist. Entsprechend muss Karate ohne Freikampf einhergehen. Dagegen stand die Meinung der Studenten die gerne den Freikampf trainiert hätten. Im November 1929 stellte Funakoshi seine Lehrtätigkeit beim „Todai Karate Kenjukai“ ein. Otsuka stellte sein Training auch ein da durch den dreijährigen Studien- Zyklus die Schüler nicht mehr an den Universitäten waren. Ende 1936 wurde Otsuka von der universitären Fakultät für Karate gebeten ein Training zu leiten. Der Leiter dieser Abteilung Ueno kommentiert das Training folgendermassen: „Techniken zwar klein, aber kraftvoll“. Daraufhin wurde Otsuka gebeten das Training wieder aufzunehmen.

Ursprung des Wadostils
Otsuka trainierte weiterhin bei Funakoshi. Er bereicherte das traditionelle Karate immer stärker mit Jujutsu Elementen. Einige Schüler bevorzugten Otsukas Karate mehr als Funakoshis traditionelle Schule. Der Reiz, die Effektivität dieses Stils im Freikampf zu erproben war zu gross, als das es nicht von genau jenen Schülern ausgetestet wurde.
Die Spaltung von Otsuka und Funakoshi war unvermeidlich. Otsuka verliess Funakoshi und gründete 1934 seine eigene Schule. Zur selben Zeit traf Otsuka den Kendo Meister Kanishi. Kanishi verfolgte einen ähnlichen Weg wie Otsuka, er wollte die Kendo Elemente mit dem Karate verflechten. Sie wurden zu engen Freunden. Kanishis Ideen flossen auch ins Wado Karate von Otsuka ein. Durch Kanishi lernte Otsuka den okinawischen Gründer des Shito-Ryu Karate, Sensei Mobuni kennen. Otsuka unterbreitete Mobuni seine Differenzen mit den Ryukyu Katas von Funakoshi. Da Otsuka nach wie vor Okinawa nicht bereist hatte, war Mobuni ein willkommenes Geschenk für ihn.
Wie bereits erwähnt, eröffnete Otsuka 1934 sein erstes Dojo in Tokio. Neben seinem Beruf als traditioneller Arzt unterrichtete er an verschiedenen Universitäten in Tokio. 1938 wurde ihn von der japanischen Budoakademie der Titel Renshin verliehen. Danach gab er sein Beruf als Arzt auf und widmete sich ausschliesslich dem Karate.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verminderten sich die Karateaktivitäten in Japan bis zum Stillstand.

Ende des Zweiten Weltkriegs existierten in Tokio keine Dojos mehr. Ab 1946 begannen einige Stundenten wieder zu trainieren

Entstehung des Wadokai Verbandes
Die erste Organisation entstand im Vorfeld einer kaiserlichen Vorführung. Otsuka gründete den Verband „Dai Nippon Karate Shinko Kurabu“ was „Grossjapanischer Karate Förderverband“ heisst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Verband aus politischen Gründen aufgelöst. Die Kampfkunstaktivitäten wurden in Japan langsam wiederaufgebaut. Otsuka bemühte sich um ein Dojo. Ein befreundeter Polizeikommandant stellte Otsuka ein Judodojo zur Verfügung. Die Trainings wurden unter dem polizeispezifischen Fachbegriff „Festnahmetechniken“ ausgetragen. Viele Ideen von Otsukas Karate wurden in diese Techniken aufgenommen.
Am 5.April 1952 eröffnete Otsuka das neue Wadokai Hauptquartier bei einem befreundeten Bauunternehmer.

Der Name Wado
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Der Name Wado wurde von einem Schüler Otsukas, Erguchi Eiichi, vorgeschlagen.
Das Zeichen Wa setzt sich aus zwei Radikalen (Teile) zusammen: Mund und Reisähre mit der weiterführenden Bedeutung von Harmonie.
Die Bedeutung des Kanji entspricht jedoch auch Jujutsu, dem Land Japan oder dem Volk der Japaner. Die Konnotation (Begriffsinhalt) bedeutet auch Freundschaft, Gleichheit, Mässigung und Harmonie.
Die Ausbreitung des Karate

Die erste Welle der Ausbreitung erfolgte über China. Während der Besatzung durch die Japaner wurden die japanischen Truppen in Karate unterrichtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bereiste Sensei Suzuki Shinij 36 Länder in Amerika und Europa und führte dort Kata und Yokusoku Kumite vor.
1960 begann Otsuka selbst in verschiedene Länder zu reisen. Ab 1970 folgte eine Auswanderungswelle vieler japanischer Wado Senseis in die ganze Welt. Sie eröffneten Dojos und unterrichteten Wadokai Karate. Einige Beispiele bekannter Senseis:

  • Teruno Kono
  • Shuzo Imai
  • Shingo Ogami

Schlusswort
Mein Sensei Sandro Danubio beauftragte mich Anfang Jahres einen Vortrag für ein Karate-Seminar vorzubereiten. Um dieses Referat zu halten, erhielt ich einige interessante Bücher. Sie finden die Liste untenstehend. Viele Informationen holte ich auch vom Internet.
Wie eingangs erwähnt, sind diese Informationen nicht komplett, sie sollen lediglich einen Einblick in die Geschichte des Wado vermitteln.

Literaturverzeichnis:

  • Karate Do Tradition und Innovation/ div. Autoren/ Verlag Pukrop ISBN 3-00-009946-8
  • Storia del Karate/ Kenji Tokitsu/ Verlag LUNI ISBN 88-7984-017-7 (ital.)
  • Ostasiatische Kampfkünste Lexikon/ Werner Lind/ Sport Verlag ISBN 4-328-00699-0